Paragraph 99 BetrVG

Die Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte bei personellen Einzelmaßnahmen nach § 99 BetrVG berühren den Kernbereich betrieblicher Interessenvertretung zwischen individuellen und kollektiven Rechten. Dies ist ein sensibler und konfliktträchtiger Bereich für Betriebsratshandeln, weil sich das individuelle Recht nicht immer mit den kollektiv zu schützenden Interessen deckt.

Arbeitgeber müssen Betriebsräte vor jeder

  • Einstellung,
  • Versetzung oder
  • Ein- und Umgruppierung

anhören und dann seine Zustimmung zur personellen Einzelmaßnahme einholen.

§ 99 BetrVG Abs. 1

In Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber den Betriebsrat vor jeder Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung zu unterrichten, ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen und Auskunft über die Person der Beteiligten zu geben; er hat dem Betriebsrat unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen Auskunft über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme zu geben und die Zustimmung des Betriebsrats zu der geplanten Maßnahme einzuholen. Bei Einstellungen und Versetzungen hat der Arbeitgeber insbesondere den in Aussicht genommenen Arbeitsplatz und die vorgesehene Eingruppierung mitzuteilen. Die Mitglieder des Betriebsrats sind verpflichtet, über die ihnen im Rahmen der personellen Maßnahmen nach den Sätzen 1 und 2 bekanntgewordenen persönlichen Verhältnisse und Angelegenheiten der Arbeitnehmer, die ihrer Bedeutung oder ihrem Inhalt nach einer vertraulichen Behandlung bedürfen, Stillschweigen zu bewahren; § 79 Abs. 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend.

§ 99 BetrVG Abs. 2

Der Betriebsrat kann die Zustimmung verweigern, wenn

    1. die personelle Maßnahme gegen ein Gesetz, eine Verordnung, eine Unfallverhütungsvorschrift oder gegen eine Bestimmung in einem Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung oder gegen eine gerichtliche Entscheidung oder eine behördliche Anordnung verstoßen würde,
    2. die personelle Maßnahme gegen eine Richtlinie nach § 95 verstoßen würde,
    3. die durch Tatsachen begründete Besorgnis besteht, dass infolge der personellen Maßnahme im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer gekündigt werden oder sonstige Nachteile erleiden, ohne dass dies aus betrieblichen oder persönlichen Gründen gerechtfertigt ist; als Nachteil gilt bei unbefristeter Einstellung auch die Nichtberücksichtigung eines gleich geeigneten befristet Beschäftigten,
    4. der betroffene Arbeitnehmer durch die personelle Maßnahme benachteiligt wird, ohne dass dies aus betrieblichen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen gerechtfertigt ist,
    5. eine nach § 93 erforderliche Ausschreibung im Betrieb unterblieben ist oder
    6. die durch Tatsachen begründete Besorgnis besteht, dass der für die personelle Maßnahme in Aussicht genommene Bewerber oder Arbeitnehmer den Betriebsfrieden durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigung, stören werde.

§ 99 BetrVG Abs. 3

Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so hat er dies unter Angabe von Gründen innerhalb einer Woche nach Unterrichtung durch den Arbeitgeber diesem schriftlich mitzuteilen. Teilt der Betriebsrat dem Arbeitgeber die Verweigerung seiner Zustimmung nicht innerhalb der Frist schriftlich mit, so gilt die Zustimmung als erteilt.

§ 99 BetrVG Abs. 4

Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht beantragen, die Zustimmung zu ersetzen.

Voraussetzung für die Anwendung des Paragraph 99 BetrVG

Voraussetzung für Beteiligungsrechte des Betriebsrats ist, dass der Arbeitgeber in seinem Unternehmen in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt ist. Abzustellen ist auf die Zahl der Arbeitnehmer im gesamten Unternehmen, unabhängig davon, ob in den einzelnen Betrieben ein Betriebsrat gewählt worden ist oder nicht.

Keine Anwendung findet der § 99 BetrVG bei leitende Angestellten im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG.

Mitwirkung des Betriebsrates

Bei dem in § 99 BetrVG geregelten Beteiligungsrecht des Betriebsrats handelt es sich entgegen des Wortlauts nicht um eine wirkliche „Mitbestimmung“ durch den Betriebsrat.

Ein Mitbestimmungsrecht besteht nur dann, wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat über die Durchführung einer Maßnahme einig sein müssen oder die Einigung durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt wird. Das ist z. B. beim § 87 BetrVG der Fall. Bei den personellen Einzelmaßnahmen hat der Betriebsrat weder ein Initiativrecht noch kann er die Einigungsstelle anrufen.

Tatsächlich geht es beim § 99 BetrVG um die Mitwirkung des Betriebsrats bei

  • Einstellung,
  • Versetzung oder
  • Ein- und Umgruppierung.

Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat vor jeder dieser Maßnahmen anhören und seine Zustimmung zur personellen Einzelmaßnahme einholen.

Der Betriebsrat muss nicht nur im Interesse des einzelnen von der personellen Maßnahme betroffenen Arbeitnehmers, sondern auch im Interesse der Gesamtbelegschaft beachten. Er hat kollektive und Individualinteressen gegeneinander abzuwägen.

Einstellungen, Versetzungen und Ein- und Umgruppierungen gehören zu den regelmäßigen Aufgaben und Arbeiten des Betriebsrats, nahezu in jeder seiner Sitzungen. Es ist daher wichtig, dass die Abläufe zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat geklärt sind.

Umfassende Information

Der Umfang der Informationspflicht ist weit gefasst. Der Arbeitgeber muss grundsätzlich sämtliche Informationen zur Verfügung stellen, die er auch hat. Er darf keine Informationen zurückhalten.

Um im Betriebstrat eine Entscheidung zu fällen, muss der Arbeitgeber den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über eine Einstellung informieren, § 99 Abs. 1 BetrVG. D. h., der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Informationen geben, die seinem eigenen Informationsstand entsprechen. Die Unterrichtung ist rechtzeitig, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat spätestens eine Woche vor Abschluss des Arbeitsvertrags über die geplante Maßnahme in Kenntnis setzt. Dabei muss der Arbeitgeber auch die Auswirkungen der Maßnahme auf die anderen Arbeitnehmer darstellen.

Nach § 99 Abs. 1 BetrVG muss der Arbeitgeber den Betriebsrat

  • die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorlegen,
  • Auskunft über die Person der Beteiligten geben und
  • die vorgesehene Eingruppierung,
  • Angaben zum Arbeitsplatz und zur Funktion,
  • Zeitpunkt der Einstellung,
  • Auskunft über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme geben.

Der Betriebsrat muss zwar umfassend und rechtzeitig unterrichtet werden, hat jedoch keinen Anspruch, an den Einstellungsgesprächen des Arbeitgebers teilzunehmen.

Verstoß gegen die umfassende Informationspflicht

Unterrichtet der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht oder nur unvollständig über eine geplante personelle Einzelmaßnahme, beginnt die Wochenfrist des § 99 Abs. 3 S. 1 BetrVG nicht zu laufen. Der Betriebsrat kann also die Zustimmung zur der Maßnahme verweigern, ohne die Frist des § 99 Abs. 3 S. 1 BetrVG einhalten zu müssen.

Zustimmungsverweigerung

Wenn der Betriebsrat seine Zustimmung verweigern will, muss er dies

  • innerhalb der Wochenfrist schriftlich und
  • unter Angabe von Gründen tun.

Dies ist nur möglich, wenn einer der Gründe vorliegt, die in § 99 Abs. 2 BetrVG abschließend aufgezählt werden. Andere Gründe kann der Betriebsrat nicht heranziehen.

Äußert sich der Betriebsrat nicht oder nicht ordnungsgemäß, so gilt die Zustimmung des Betriebsrats nach Fristablauf als erteilt.

Die Mitwirkung des Betriebsrates besteht darin, dass er das Recht hat die Zustimmung zu der vom Arbeitgeber gewünschten Maßnahmen zu verweigern.

Mögliche Reaktionen des Arbeitgebers auf die Zustimmungsverweigerung

Der Arbeitgeber kann in einem solchen Fall

  1. auf die beabsichtigte personelle Einzelmaßnahme verzichten,
  2. die Ersetzung der Zustimmung beim Arbeitsgericht beantragen (Zustimmungsersetzungsverfahren) (§ 99 Abs. 4 BetrVG). Das Arbeitsgericht entscheidet dann, ob die Zustimmungsverweigerung des Betriebsrates rechtmäßig war. Oder
  3. die Maßnahme vorläufig durchführen ( § 100 BetrVG).

Gibt das Arbeitsgericht dem Antrag des Arbeitgebers statt (Pkt. 2), darf dieser die personelle Maßnahme durchführen. Weist es den Antrag zurück, muss der Arbeitgeber auf die beabsichtigte Maßnahme verzichten.

Der Arbeitgeber hat nach § 100 BetrVG (Pkt. 3) die Möglichkeit, eine personelle Maßnahme vorläufig durchzuführen, bevor der Betriebsrat seine Zustimmung erteilt hat bzw. wenn dieser seine Zustimmung verweigert hat. Voraussetzung dafür ist, dass die personelle Maßnahme aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist.

Macht der Arbeitgeber von der Möglichkeit der vorläufigen Durchführung einer personellen Maßnahme Gebrauch, hat er den Betriebsrat darüber unverzüglich zu unterrichten.

Der Betriebsrat kann bestreiten, dass die Durchführung der Maßnahme aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist. Er muss dies dem Arbeitgeber aber nach § 100 Abs. 2 S. 2 BetrVG unverzüglich mitteilen. Nach § 100 Abs. 2 S. 3 BetrVG darf der Arbeitgeber die personelle Maßnahme in diesem Fall nur dann aufrechterhalten, wenn er beim Arbeitsgericht beantragt,

  • die Zustimmung des Betriebsrats zu ersetzen (§ 99 Abs. 4 BetrVG) und
  • festzustellen, dass die Durchführung der Maßnahme aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war (§ 100 Abs. 1 BetrVG).

Begriffe des § 99 BetrVG

Einstellung

Eine Einstellung im Sinne des § 99 Abs.1 BetrVG liegt vor, wenn Beschäftigte in den Betrieb des Arbeitgebers eingebunden werden, um mit den dort bereits Beschäftigten in weisungsgebundener Tätigkeit den arbeitstechnischen Zweck des Betriebes verwirklichen. Maßgeblich ist die Eingliederung des Beschäftigten in den Betrieb.

  • Eine Eingliederung ist daher auch bei Beschäftigten von Drittfirmen möglich.
  • Der Einsatz von Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb ist aufgrund der Weisungsgebundenheit an die Vorgaben des Arbeitgebers des Entleiherbetriebes grundsätzlich eine Einstellung, § 14 Abs.3 AÜG.
  • Auch die Umwandlung eines befristeten Arbeitsverhältnisses in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis, sowie
  • die Verlängerung befristeter Arbeitsverhältnisse,

sind eine Einstellung in Sinne von § 99 Abs. 1 BetrVG.

  • Eine Änderung der Arbeitszeit in Form von Aufstocken der bisher geleisteten wöchentlichen Arbeitsstunden ist nur dann eine Einstellung im Sinne von § 99 Abs. 1 BetrVG, wenn diese Änderung der Arbeitszeit in Dauer und Umfang erheblich ist. Das BAG bejaht dies bei einer Erhöhung der Arbeitsstunden um mindesten 10 h die Woche für mehr als 1 Monat.

Was ist keine Einstellung?

Folgende Vorgänge im Betrieb sind keine Einstellung im Sinne von § 99 Abs. 1 BetrVG:

  • Verringerung der Arbeitszeit
  • Wiederaufnahme der Arbeit nach Unterbrechung (bspw. bei Obsiegen bei Kündigungsschutzprozess)
  • Wiederaufnahme der Arbeit nach der Beendigung der Elternzeit
  • Schülerpraktikanten, da diese nicht einen ausreichend langen Zeitraum im Betrieb sind und daher grundsätzlich nicht eingegliedert sind; anderes kann gelten bei Studenten im Betriebspraktikum

Eingruppierung

Eine Eingruppierung im Sinne des § 99 Abs.1 BetrVG ist die erstmalige Zuordnung der von einem Arbeitnehmer auszuübenden Tätigkeit zu den Entgeltsgruppen des für ihn einschlägigen Tarifvertrages.

Gilt der Tarifvertrag zwingend für das Arbeitsverhältnis, so ist eine korrekte Eingruppierung Grundlage für die Feststellung des nicht unterschreitbaren Mindestlohnes.

Umgruppierung

Umgruppierung ist die Änderung der Zuordnung des Arbeitnehmers zu der für ihn maßgeblichen Vergütungsgruppen des für ihn einschlägigen Vergütungstarifvertrages.  Eine Änderung kann aufgrund einer Versetzung durch den Arbeitgeber oder aufgrund einer neuen Entgeltgruppeneinteilung erfolgen. Umgruppierung kann Höher- oder Rückgruppierung sein.

Versetzung

Unter einer Versetzung versteht man üblicherweise:

die Zuweisung neuer Arbeitsaufgaben, die von bisherigen Aufgaben erheblich abweichen, und/oder die Zuteilung zu einer anderen Betriebsabteilung, und/oder die Zuweisung eines weit entfernten neuen Arbeitsortes, insbesondere in einer anderen Stadt, wobei solche Maßnahmen weiterhin von einer gewissen Dauer sein müssen, d. h. für mindestens einige Wochen Gültigkeit haben oder bis auf weiteres gelten müssen (d.h. eine „Versetzung für einen Tag“ gibt es nicht).

Derjenige, der eine Versetzung entscheidet, ist der Arbeitgeber bzw. der Dienstvorgesetzte, und der, der sie befolgen muss, der Arbeitnehmer.

Keine Versetzung ist der bloße Entzug von Arbeitsaufgaben, d.h. die Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeit.

Hinweise § 99 BetrVG

  1. Der Betriebsrat kann die Zustimmung zu einer Einstellung verweigern, wenn der Arbeitgeber die nach § 93 BetrVG erforderliche Ausschreibung unterlassen hat. Hierzu zählt auch der Fall, dass der erforderliche Mindestinhalt nicht eingehalten wurde oder externe Bewerber bevorzugt wurden.
  2. Der Betriebsrat kann auch Einstellungen widersprechen, die gegen das AGG verstoßen.
  3. Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 GG, wenn der Arbeitgeber als Auswahlkriterium die Gewerkschaftszugehörigkeit wählt, sind ebenfalls ein Ablehungsgrund.
  4. Die Einstellung führt zu einem Nachteil für einen gleich geeignet bereits im Betrieb befristet Beschäftigter, der beispielsweise einen neuen unbefristeten Arbeitsvertrag nicht erhält, § 99 Abs.2 Nr.3 BetrVG.
  5. Eine Gefahr für den Betriebsfrieden könnte bei rassistischer und fremdenfeindlicher Betätigung des Bewerbers bestehen, § 99 Abs.2 Nr.6 BetrVG.

Seminartipp

Mehr Informationen zum § 99 BetrVG gibt es hier:

BR 2 Seminar
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