Betriebsräte in der Wiedereingliederung bei Post bzw. Long-Covid

Aktuelle Zahlen zeigen, dass zehn bis 15 Prozent aller Menschen, die sich mit dem Corona Virus infiziert haben, an dem Long-COVID bzw. Post-COVID Syndrom leiden, unabhängig von der Schwere Ihrer Erkrankung. Denn auch bei einem milden Verlauf können Wochen oder Monate später gravierende Probleme auftreten, die sich erheblich auf die täglichen Aktivitäten und somit auch auf den Berufsalltag auswirken. Bei aktuell ca. 5,4 Millionen registrierten Covid-Erkrankten bzw. Genesenen in Deutschland könnten hierzulande also ca. 800.000 Menschen betroffen sein (Stand: November 2021). Hinzu kommt, dass von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen wird. Durch Symptome, wie ständige Erschöpfung, Fatigue, Luftnot oder Konzentrationsstörungen (Gehirnnebel, brain fog) ist die Rückkehr in den Berufsalltag für diese Menschen drastisch erschwert. Ein erhöhtes Unfall- bzw. Fehlerrisiko, eine geringe Leistungsfähigkeit sowie Kündigungen aufgrund von Krankheit oder arbeitsvertraglichen Pflichtverstößen sind mögliche Folgen.  Betriebsräte können Ansprechpartner im Unternehmen sein, um die Wiedereingliederung zu erleichtern und den Weg zurück in das Arbeitsleben mitgestalten.

Zahlen und Fakten

Insbesondere bei schweren Verläufen von COVID-19 ist mit Long-COVID Symptomen zu rechnen. 76 % der Patienten und Patientinnen weisen noch sechs Monate nach der Infektion mindestens ein Symptom auf. 63 % leiden z. B. an Fatigue (schnelle und schwerwiegende Erschöpfbarkeit) oder an Muskelschwäche, 26 % an Schlafstörungen sowie 23 % unter Depression und Angstsymptome. Doch auch bei Patienten und Patientinnen mit leichten COVID-19 Verläufen kommt es regelmäßig nachträglich zu auftretenden Gedächtnisschwierigkeiten oder der Fatigue. Die tatsächliche Schwere einer Long-COVID oder Post-COVID Erkrankung ist zu Beginn der Erkrankung in der Regel nicht abzusehen. Die Symptome können auch erst viele Wochen oder Monate nach einer Infektion auftreten.  

Die Rolle des Betriebsrats

Entsprechend braucht es Strukturen und Prozesse innerhalb von Betrieben, die auf die Bedürfnisse von Betroffenen angepasst werden. Betriebsräte können durch ihre Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte helfen, die Strukturen zu schaffen, um Kollegen und Kolleginnen wieder einzugliedern. Sie können Betroffenen die Möglichkeit eröffnen, während der Genesung stufen- oder zeitweise zur Arbeit zurückzukehren.  

Diese betriebsrätliche Aufgabe ist zurzeit besonders wichtig, da es eine ursächliche Therapie von Long- oder Post-COVID Patienten und Patientinnen noch nicht gibt und somit der Rehabilitation bei Long-COVID eine besondere Rolle zu kommt. Hier zeigen die Erfahrungen von beispielsweiser der MEDIAN Kliniken, dass Patienten von einer individuellen Reha sehr profitieren. Erschwert wird die Rehabilitation dadurch, dass die Beschwerden oftmals unzureichend oder falsch diagnostiziert werden. Um hier Abhilfe zu schaffen, gibt es z. B. Checklisten für die Symptomatik, die Betroffene mit zum Arzt nehmen können (zum Symptom-Checker).  Die Gefahr der Chronifizierung sowie einer langfristigen Arbeitsunfähigkeit steigt in der Folge einer unerkannten Long- bzw. Post-COVID Symptomatik drastisch.  Dadurch werden Betroffene erheblich in ihren Möglichkeiten zur Teilhabe am gesellschaftlichen, aber auch am beruflichen Leben eingeschränkt. 

Wiedereingliederung mit Betriebsräten

Für Long-COVID und Post-COVID Betroffene sind Betriebsräte entsprechend die zentrale Anlaufstelle bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsalltag. Hier können Betroffene ihre krankheitsbedingten Bedürfnisse und Grenzen zeigen und Unterstützung erhalten. Neben der Funktion des vertrauensvollen Ansprechpartners haben Betriebsräte mit Hilfe von Wiedereingliederungsmaßnahmen, wie z. B. BEM, HH-Modell und Betriebsvereinbarungen. die Möglichkeit Strukturen und Prozesse zu schaffen bzw. zu nutzen und die Teilhabe Betroffener am beruflichen Leben wieder herzustellen.  

Dass der Betriebsrat tätig wird und ein Angebot für Betroffene schafft, ist wichtig, um neben den primären Einschränkungen, die aus der Long-COVID bzw. Post-COVID Symptomatik entstehen auch sekundären Einschränkungen zu begegnen. So führen Fehler bei der Arbeit oder eine verringerte Leistungsfähigkeit der betroffenen Person zu Konflikten mit den Kollegen*innen, die auch in einer Mobbing Problematik enden können. Gleichzeitig erleben Betroffene beispielsweise Stress durch die eingeschränkte Leistungsfähigkeit sowie Schamgefühle und Minderwertigkeitsgefühle, die sich wiederum auf die psychische Gesundheit auswirken und ursächlich für weitere Erkrankungen sein können. Im schlimmsten Falle können krankheitsbedingte Kündigungen die Folge sein. Ein transparenter Umgang mit den Long-COVID bzw. Post-COVID Symptomen gegenüber anderen Kolleg*innen sollte nur mit großer Vorsicht erfolgen, um Schwierigkeiten mit dem Arbeitgeber oder einer Kündigung zu vermeiden.

Von der Theorie zur Praxis

Wie die Wiedereingliederung in der Praxis im Detail aussieht, kann sehr unterschiedlich sein. Es ist u.a. abhängig von den Einschränkungen der Betroffenen Person, der Schwere der vorausgegangen Corona Erkrankung und den betrieblichen Besonderheiten. Beispielhaft werden die Aufgaben der Betriebsräte im Rahmen der Wiedereingliederung von Long-COVID oder Post-COVID Patienten auf der folgenden Timeline dargestellt. Ausgangspunkt ist in jedem Fall, dass der Betriebsrat der Belegschaft ein Angebot für die Wiedereingliederung Betroffener macht und über diese Möglichkeit aufklärt. Nur so können Betriebsräte sicherstellen, dass die Betroffenen ihre Optionen kennen und Nutzen.

Die beiden in der Timeline dargestellten Fälle veranschaulichen beispielhaft welche Möglichkeiten der Unterstützung in Betrieben sowie im privaten Bereich für Betroffene vorhanden sind und berücksichtigt werden könnten. Darüber hinaus gibt es weitere Möglichkeiten, die Betriebsräte Betroffenen im Rahmen einer Verweisberatung empfehlen können. Bei der innerbetrieblichen Wiedereingliederung muss eine Reihe von Aspekten berücksichtigt werden.

BEM oder HH-Modell?

Es sollte in jedem Fall eine Abwägung zwischen BEM und dem Hamburger Modell stattfinden. Beide Maßnahmen haben eine Reihe von Vor- und Nachteilen, die individuell zu bewerten sind. Beispielsweise ist BEM in kleineren Betrieben häufig schwieriger umsetzbar. Außerdem sollte hier eine gute Arbeitnehmer-Arbeitgeberbeziehung vorhanden sein, da der Arbeitgeber viele persönliche Daten des Arbeitnehmers erhält und diese im schlimmsten Fall für das Aussprechen einer krankheitsbedingten Kündigung nutzen kann. Außerdem kann BEM erst ab einer Krankheitsdauer von 44 Tagen verpflichtend durchgeführt werden. Dies wird bei einem unbemerkten und symptomfreien Corona Verlauf problematisch, wenn der Arbeitgeber ein BEM nicht freiwillig durchführen möchte. Das Hamburger Modell kann je nach Ausprägung des Long-COVID bzw. Post-COVID Syndrom bei Ausübung der aktuellen Position im Betrieb schwierig sein. Die Übernahme einer anderen Position im Unternehmen ist hier in der Regel nicht möglich. Vorteilhaft für den Arbeitgeber ist sicherlich, dass der Arbeitnehmer Krankengeld und kein Arbeitsentgelt erhält. Im besten Falle schließt der Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung speziell für die Wiedereingliederung Betroffener ab und versucht einen Kündigungsschutz für diese auszuhandeln.

Infektion als Arbeitsunfall

Zusätzlich zu den Wiedereingliederungsmaßnahmen ist zu prüfen, ob die Infektion mit Covid-19 infolge einer versicherten (Arbeits-) Tätigkeit erfolgt, ohne dass die Voraussetzungen einer Berufskrankheit vorliegen, sich die Erkrankung als Arbeitsunfall darstellen kann. Die Sozialversicherungsträger und der Deutsche Gewerkschaftsbund sehen eine Infizierung mit Covid-19 regelmäßig als Berufskrankheit infolge einer Tätigkeit im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium. Sollte der Arbeitgeber den Arbeitsunfall nicht melden, sollte der Betriebsrat dies übernehmen. In Betrieben ohne eine Schwerbehindertenvertretung sollten Betriebsräte deren Aufgaben mitübernehmen. 

Quellen

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